Lebensweltorientierung
Theoretische Herleitung
Als zentrales Element der Lebensweltorientierung wird beschrieben, dass sich Zielvorstellungen und Arbeitsweisen aus den Wünschen und Fähigkeiten der Jugendlichen ergeben (vgl. u.a. Bürgermeister 2009; Fromme 2013; Schell 2013; Demmler/Rösch 2014; Schön et al. 2019). Dabei muss stets zwischen pädagogischen Ansprüchen und den Interessen und Bedarfen der Teilnehmenden abgewogen werden.
Jugendliche eignen sich Medien und digitale Technologien abseits von formalen Bildungskontexten in ihrer Lebenswelt selbst oft situativ und spielerisch an (Röll 2014). Daher sollte das Prinzip, insbesondere im Sinne einer Orientierung an den Bedarfen von Jugendlichen aus sozial und kulturell benachteiligenden Verhältnissen, beispielsweise durch kurze, strukturierte Einheiten und ein spielerisches, grundsätzlich offenes Vorgehen realisiert werden (Niesyto 2007; Kutscher et al. 2009; Vossoughi/Bevan 2014). Eine besondere Herausforderung stellt hierbei die große Heterogenität der Zielgruppe dar.
Es sollten niedrigschwellige und möglichst lebensweltliche Technikzugänge (z.B. Smartphone oder Games) ermöglicht werden. Die erarbeiteten Ergebnisse sollten dabei möglichst der Medienwelt der Jugendlichen entsprechend ansprechend sein.
Gleichzeitig sollte Jugendlichen ein möglichst großer Freiraum an eigener Themensetzung gegeben werden, wobei ein thematischer Rahmen gegeben sein kann (z.B. “Musik” oder “Naturschutz”). Beispiele aus der Lebenswelt der Jugendlichen helfen im Sinne des exemplarischen Lernens (Schell 2013) dabei komplexe Themen zugänglich zu machen. Lebensweltorientierung beinhaltet auch durch die Berücksichtigung verschiedener Dimensionen von Diversität. Eine gezielte inklusive Ansprache sollte dabei auch Mädchen für die Angebote interessieren, die häufig unterrepräsentiert sind (vgl. Collmer 2001; Eble 2003; Sammet 2003).
Eindrücke aus der Praxis
Fachkräften ist es sehr wichtig die pädagogische Arbeit mit digitalen Technologien am Alltag der teilnehmenden Jugendlichen auszurichten. In ihrer Idealvorstellung ermöglicht die Nutzung lebensweltnaher Technologien und die Bearbeitung lebensweltnaher Themen theoretische Bezüge, emotionale Bindungen und konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten zu der Lebenswelt der Zielgruppe. Dadurch werde das Interesse der Jugendlichen geweckt sowie ihre Motivation und ihr Durchhaltevermögen gesteigert. Lebensweltorientierung ermögliche dadurch Selbstwirksamkeitserfahrungen und nachhaltiges Lernen.
Um die gewünschten Effekte der Lebensweltorientierung zu erreichen, akzeptieren die Fachkräfte die Jugendlichen als Expert:innen und lassen sie eigene Schwerpunkte und Themen setzen. Allerdings sind die Ideen, die die Jugendlichen einbringen aufgrund fehlender Ressourcen oft nicht umsetzbar und müssen angepasst bzw. vereinfacht werden. Zum anderen entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Lebensweltnähe und der inneren Haltung der Fachkräfte, wenn Fachkräfte einen bestimmten lebensweltnahen Inhalt etwa als nicht für ihren pädagogischen Arbeitskontext angemessen beurteilen. Das Abwägen zwischen pädagogisch wertvollen und lebensnahen Themen und Herangehensweisen, stellt Fachkräfte immer wieder vor Herausforderungen. Grundsätzlich entwickeln sich Abwägungsprozesse zwischen dem Vorgeben bestimmter Inhalte und dem Offenlassen inhaltlicher Gestaltungsspielräume. Manche Fachkräfte bieten den Jugendlichen, meist zu Beginn des Angebots, bestimmte Technologien und Themen an, lassen dann aber Freiräume für eigene Schwerpunktsetzungen. Gerade bei offeneren Angeboten stellen Fachkräfte aber auch fest, dass Teilnehmende manchmal nach einiger Zeit ihre eigenen Ideen verwerfen und zum vorgegebenen Inhalt zurückkehren. Auch auf Ebene der angewandten Technologien stehen Fachkräfte vor einer Herausforderung. Einige Fachkräfte haben klare Vorstellungen davon, welche Technik lebensweltnah sei (z.B. Smartphones) und welche es nicht (z.B. 3D-Drucker). Dennoch kann auch mit weniger im Alltag anzufindenden Technologien lebensweltorientiert gearbeitet werden, wenn damit lebensweltnahe Themen behandelt werden. So kann mit dem 3D-Drucker beispielsweise ein bestimmtes Pokémon
gedruckt und für weiterführende (medien-)pädagogische Arbeit genutzt werden. Eine weitere Schwierigkeit bringen heterogene Gruppen mit sich. Je unterschiedlicher die Teilnehmenden sind, etwa hinsichtlich Alter und Vorwissen, sozialer Herkunft, Habitus, Interessen usw., desto schwieriger gestaltet sich die Umsetzung der Lebensweltorientierung, weil konkrete gemeinsame Bezüge fehlen. Gleichzeitig zeigen sich hier auch Potenziale, wenn etwa ältere Teilnehmende sich an lebensweltnahe Technik der jüngeren (z.B. LEGO) anpassen und plötzlich die Rolle von Expert*innen übernehmen oder eine Gruppe der anderen ihre lebensweltlichen Erfahrungen mit Technologien näherbringt.